In 365 Tagen um die Welt

Vom Besuch der erfolgreichsten Agenturen des Planeten. Sieben Interviews zu Erfolgsfaktoren von Werbung und ein Gepäck voller Erfahrungen. Ein Reisebericht.

Text Thorsten Wellmann

1_Montage_Himmel._c_Nahil-Naseer.jpg

In den letzten 20 Jahren habe ich viel Zeit damit verbracht, an Tag X eine Werbekampagne zu präsentieren und an Tag Y in gleicher, ähnlicher oder ganz neuer Form on Air zu haben. Es lehrte mich, dass es gut ist, einen Plan zu haben. Auch wenn der am nächsten Tag schon obsolet ist.

2018 fasste ich einen Plan, der mit meinem bisherigen Alltag wenig zu tun hatte. Ich wollte die erfolgreichsten Agenturen der Welt besuchen und zu ihren Erfolgsrezepten befragen. Also schaute ich mir an, wo Agenturen sitzen, die Cannes-Löwen gewonnen haben. Und dann: Nichts wie hin. Schnell war eine freundliche Mail verfasst, mit einer kurzen Info zu meinem Plan und der Frage, wann ich zu einem Interview vorbeikommen könnte. Man merkt vielleicht, dass ich mir eine jugendliche Unbekümmertheit behalten habe. Ich ging davon aus, auf meine Anfrage Zusagen zu bekommen.

Nun – von zwölf angeschriebenen Agenturen haben vier dankend abgelehnt. Sechs haben sich gar nicht gemeldet und zwei haben einem Interview zugestimmt. Somit erreichte ich eine Responsequote von 50% und eine Conversion Rate von 16%. Eigentlich nicht so schlecht. Also ab ins Flugzeug – die restlichen Gespräche wollte ich unterwegs arrangieren. Der Optimismus stirbt zuletzt.

Manch Kreativer wird sicherlich nervös, wenn der Kunde Teil der Ideenentwicklung ist.

In Bangkok hatte ich meinen ersten Interviewtermin mit CJ WORX. Kennt man hier in Europa vielleicht nicht, ist aber in Asien eine große Nummer. Ich traf dort Jinn Powprapai, Gründer und Managing Director. Die Löwen aus Cannes und „Agency of the Year“-Auszeichnungen glänzten neben Interieur aus Designklassikern. Jinn führte aus, dass man sich bei CJ WORX zum Ziel setze, Werbung zum Inhalt der Konversation zwischen Konsumenten zu machen. Sie eben nicht mehr mit Werbung zu penetrieren. Und deshalb Kampagnen in Social Media zu starten. Dafür hat CJ WORX ein eigenes „Word of Mouth Online Network“ aufgebaut.

Als ich die Agentur verließ, machte sich Erleichterung breit. Bangkok – mein erstes Interview. Direkt bereitete ich das nächste Gespräch vor. In Tokio wollte ich von Andreas Moellmann, Chief Experience Officer bei Geometry Global mehr über asiatische Agenturen und ihre Kampagnen wissen. Um es kurz zu machen: Aus einem geplanten 7-Tage-Aufenthalt mit einem Interview sind 250 Tage mit einem Job geworden.

Geometry Global und das Projekt, welches ich dort leitete, lehrte mich Kollaboration. Kampagnen werden mit verschiedenen Fachdisziplinen erarbeitet. Das gilt auch für den Kunden, ein gleichberechtigtes Teammitglied. Manch Kreativer wird sicherlich nervös, wenn der Kunde Teil der Ideenentwicklung ist. Aber die Überzeugungskraft auf Kundenseite ist eine andere, wenn gemeinsam erarbeitete Konzepte bei Entscheidungsträgern präsentiert werden. Unser Team bestand aus einem Entwickler, UI/UX Spezialist, Digital-Strategen, Art Direktor, Texter, Berater, dem projektverantwortlichen Kunden und einem Produktmanager. Alle an einem Tisch. Letztendlich diskutiert man am anderen Ende der Welt die gleichen Themen wie bei uns. Nur sitzt man dort mit sieben unterschiedlichen Nationen an einem Tisch.

Thorsten Wellmann hat über 20 Jahre Erfahrung als Berater in Werbeagenturen. Seine Interviewserie mit den kreativsten Agenturen der Welt startete er 2018.

Thorsten Wellmann hat über 20 Jahre Erfahrung als Berater in Werbeagenturen. Seine Interviewserie mit den kreativsten Agenturen der Welt startete er 2018.

Genau das ist es, was ich auf meiner Reise erleben wollte: Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Völker dieser verrückten Welt. Zeit für einen neuen Kontinent: Australien. Ich traf Alisia Muscat, Managing Director von AKQA in Melbourne. Zur Unternehmenskultur gehört dort die gelebte 4-Tage-Woche. „Typisch Australien. Alles ein wenig entspannt.“, mag man denken. Aber tatsächlich hat dies einen positiven Einfluss auf Produktivität und Mitarbeiter-Engagement. Geplant wird die Zeit eigenverantwortlich innerhalb der Teams.

Wie sehr Arbeitsmodelle von der Kultur des Landes bestimmt sind, denke ich und erinnere mich an Bangkok. Dort steht man dem Arbeiten im Homeoffice skeptisch gegenüber. Kein Wunder - viele Menschen leben mit der gesamten Großfamilie zusammen und finden Zuhause einfach keinen Raum zum konzentrierten Arbeiten. Wie steht man dazu wohl im temperamentvollen Südamerika?

Südamerikanische Kreative genießen in der Branche einen sehr guten Ruf. Zunächst zieht es mich nach Santiago de Chile – eine wunderschöne Stadt voller Gegensätze. Auf der einen Seite hat man die historische Altstadt, auf der anderen das hochmoderne Viertel Providencia mit dem höchsten Gebäude Südamerikas. Die Fünf-Millionen-Stadt hat mit einem starken Wohlstandsgefälle zu kämpfen. Mieten oder Restaurantpreise erschienen mir nicht viel günstiger als in Düsseldorf. Und das bei einem durchschnittlichen Monatsbruttoeinkommen von ca. 870 EUR.

Ich traf Joaquin Martinez, Geschäftsführer der Agentur Bond und fragte, inwiefern die Geographie Einfluss auf Werbung in Chile hat. Man muss wissen, dass Chile eine Nord-Süd-Ausdehnung von über 4.300 km hat. Zum Vergleich: Europa kommt auf ca. 3.800 km. Und so ist es nicht verwunderlich, dass in Chile Kultur, Landschaften und Wetter stark differieren und entsprechend auch Produktzyklen und Werbung. Es ist also wichtig die richtige Werbebotschaft, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu platzieren.

„Ads, Acts and Action“ ist ein Ansatz, bei dem das Handeln des Unternehmens die Werbung bestimmt.

In Buenos Aires, dem Paris Südamerikas, wollte ich mehr zu besagter südamerikanischer Kreativität erfahren. Immerhin gab es dort eine kleine argentinische Agentur, die mit nur 35 Mitarbeitern für Coca Cola internationale Kampagnen entwickelt. Maxi Itzkoff, damaliger CCO und Partner bei Santo und Alejandro Dominguez, Director Strategy und Partner bei La America erzählten mir mehr.

Argentinier gelten Neuem gegenüber aufgeschlossen. Gleichzeitig ist die politische Situation instabil – man muss wachsam sein. Dazu kommt eine große Portion Leidenschaft. Ich sage nur: Fußball und Tango. Alejandro von La America hat einen weiteren Erklärungsansatz für die Stärke argentinischer Werbung: Psychoanalyse. Buenos Aires ist die Stadt mit den meisten Psychologen weltweit. Argentinier lieben zu diskutieren, debattieren. Sie möchten ihre eigene Geschichte verstehen, analysieren und anderen erzählen.

Vielleicht kann man sagen, dass der gelernte Umgang mit Krisen, starke Leidenschaft und Fähigkeit zu Analyse und Debatte gute Zutaten für erfolgreiche Werbung sind. Südamerikanische Kreative und deren Kommunikation über einen Kamm zu scheren, ist allerdings zu einfach. Die Länder unterscheiden sich stark und diese Gegebenheiten haben Auswirkungen auf ihre Kommunikation. Brasilianische Kampagnen arbeiten z.B. bildgewaltig und vermitteln Botschaften eher visuell als durch Text. Vermutlich getrieben durch eine hohe Analphabeten-Quote – die größte in ganz Südamerika. Mir wurde bewusst, dass ich trotz meiner Reise um die Welt, nur Ausschnitte wahrnehmen kann. Dennoch möchte ich das Bild erweitern und verlasse Südamerika gen Norden. Bei der South by Southwest Conference in Austin führte ich ein letztes Interview. Mit Ben Shaw, Head of Strategy, BBH.

Wir sprachen über Haltungskampagnen. „Ads, Acts and Action“ ist ein Ansatz, bei dem das Handeln des Unternehmens die Werbung bestimmt. Damit ändert sich auch die Anforderung an den CMO im Unternehmen. Dieser muss sich mit vielen internen Abteilungen abstimmen, Menschen von einer Idee überzeugen. Das ist mühsam, kostet Zeit. Aber es führt dazu, dass die Kommunikation von breiten Teilen des Unternehmens und deren Mitarbeitern getragen wird, dass Versprechen belegbar sind und Werbung lebendig.

Das Bild, das ich mir von der Welt und der Werbung machen konnte, ist wohl noch lange nicht vollständig. Aber ich kehrte dennoch mit Gepäck voller Erkenntnisse nach Hause zurück. Ich habe Inspiration gefunden. Erfahren, wie man Marken an Kunden bindet und ins Gespräch bringt. Wie Kultur, Mentalität und Geographie Kommunikation und Arbeitsmodelle prägen. Ich habe meine Komfortzone verlassen und meinen Horizont um einige Kilometer erweitert. Und vor allem hatte ich eines: Ein verdammt gutes Jahr. ■

Zurück
Zurück

Was inspiriert dich, Tina Husemann, Chefredakteurin & Herausgeberin THE DORF, Geschäftsführerin L*ETOILE PR?

Weiter
Weiter

Weltwassertag 2021