Städte der Zukunft

Große Städte und Ballungsgebiete tragen gravierend zum Klimawandel bei. Es ist höchste Zeit, dass sie mit gezielten Maßnahmen ihre Emissionen verringern. Immer mehr Städte gehen dabei mit gutem Beispiel voran.

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Text: Katja Vaders

Einige der globalen Metropolen stoßen genauso viele Emissionen aus wie so manches kleinere Land. Viele Großstädte haben es sich daher zum Ziel gesetzt, in nicht allzu ferner Zukunft klimaneutral zu werden und legen den Fokus auf eine nachhaltige Städteplanung.

Auch Tina Jokisch, Geschäftsführerin des Architekturbüros Schwitzke & Partner in Düsseldorf, konzentriert sich in ihrer Arbeit vermehrt auf das Thema. „Unsere Aufgabe als Architekten ist es, Kunden zu begleiten und mit ihnen Konzepte zu entwickeln, die nachhaltigen Ansprüchen gerecht werden.

Für uns bedeutet das neben dem Gebrauch von entsprechenden Materialien insbesondere, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, damit er sich frei und sicher in den Quartieren und Städten bewegen kann. Wir müssen langfristiger denken und mehr mit Bestandsgebäuden arbeiten. Es sollten Rahmen geschaffen werden, innerhalb derer man etwas verändern kann“, erklärt sie. Weltweit gibt es Kommunen, die mit gutem Beispiel vorangehen und als Vorreiter für klimaneutrale und nachhaltige Städte gelten, insbesondere in Skandinavien. Oslo möchte seine Emissionen bis 2030 um 95 Prozent senken.

Die Städteplanung im Vulkan-Viertel in Oslo paart Nachhaltigkeit und Lebensfreude.

Nicht zu Unrecht ist die norwegische Hauptstadt zur „European Green Capital 2019“ ernannt worden; im Bereich Elektroautos ist Norwegen sogar weltweit an der Spitze. Oslo gehört zu den am schnellsten wachsenden Hauptstädten Europas und baut dementsprechend viele neue Wohnungen – allerdings ohne den Verbrauch fossiler Energien. Ein Vorbild für umweltbewusste Stadtplanung ist das Osloer Vulkan-Viertel, das auf einem ehemaligen Industriegelände entstanden ist.

Die Entwickler setzten ein energieeffizientes Stadtviertel mit einer lokalen Energiezentrale mit Geothermie-Brunnen sowie Fassaden aus Solarpanelen um, die mehr als 80 Prozent des gesamten Strombedarfs für die Nachbarschaft liefern. Außerdem gibt es zwei Hotels, die Energie aus Kühlräumen und Aufzügen zurückgewinnen. Auf den Dächern der modernisierten Gebäude des Vulkan-Viertels befinden sich Bienenstöcke, die das nachhaltige Oslo symbolisieren, das zudem auch noch unzählige Parks und große Waldgebiete zu bieten hat.

Auch Kopenhagen gilt schon lange als Vorreiter, wenn es um die Realisierung einer nachhaltigen Stadt geht und möchte bereits im Jahr 2025 die erste klimaneutrale Hauptstadt der Welt sein. Daher richtet es seine gesamte Stadtplanung nach diesem Ziel aus. Kopenhagen besitzt ein gut funktionierendes Fernwärmenetz, durch das es viel CO2 einsparen kann. Besondere Beachtung findet die Stadt allerdings schon seit vielen Jahren durch seine erfolgreiche Verkehrswende: 41 Prozent der Kopenhagener nehmen das Fahrrad, um sich in der Stadt zu bewegen. Dabei helfen u.a. 375 Kilometer Radwege in einer Breite von 2,5 bis 4 Metern sowie extra viele Schnellverbindungen, die die Pendler auf dem Zweirad von der Innenstadt in die Vororte leiten. Außerdem reduziert man hier drei Prozent der Parkplätze im Jahr, um nicht nur eine bessere Fahrradinfrastruktur, sondern auch mehr Grünflächen zu schaffen. Der ÖPNV ist perfekt ausgebaut, und zu guter Letzt setzt man in der dänischen Hauptstadt auf die Entsiegelung und Begrünung von Straßenplätzen.

Bereits 41 Prozent der Kopenhagener nehmen das Rad, um sich durch die Stadt zu bewegen.

Bereits 41 Prozent der Kopenhagener nehmen das Rad, um sich durch die Stadt zu bewegen.

Die „Bicycle Snake“ ist eine Brücke durch den Kopenhagener Hafen, die ausschließlich für Radfahrer zugelassen ist und nachts orange leuchtet.

Die „Bicycle Snake“ ist eine Brücke durch den Kopenhagener Hafen, die ausschließlich für Radfahrer zugelassen ist und nachts orange leuchtet.

Städte müssen sich an steigende Temperaturen und Niederschläge sowie Hitzeperioden anpassen, die aufgrund des Klimawandels entstehen. Dazu werden Flächen entsiegelt, helle Oberflächen verwendet sowie innerstädtisches Grün und Frischluftschneisen geschaffen. Hier sind auch Bürger gefragt: Das Zurückbauen von privaten Schottergärten oder die Begrünung von Dächern ist elementar wichtig, um die Artenvielfalt und Biodiversität in den Städten zu unterstützen. Privatgärten nehmen Regenwasser, Kohlendioxid, Staub und Schadstoffe auf, ein Quadratmeter Grün filtert im Jahr etwa 0,2 kg Schadstoffe aus der Luft.

Der Weg hin zu einer nachhaltigen Stadt erfordert viele neue Konzepte. In der kanadischen Metropole Toronto riefen die Städteplaner die Parkland Strategy ins Leben: ein 20-Jahre-Plan, der den Bau neuer Parks, die Erweiterung bereits bestehender Grünflächen sowie einen verbesserten Zugang zu diesen Freiräumen vorsieht.

Ungewöhnliche, hässliche und wenig frequentierte Orte sollen auf diese weise zu Grün- und Freiräumen umgestaltet werden. Ein Vorzeigeprojekt der Parkland Strategy ist The Bentway, ein Park und Pfad, der sich über 1,75 km unterhalb einer Hochstraße erstreckt und in seiner ersten Phase bereits im August 2018 eröffnet wurde. Es befindet sich unter einem 15 Meter hohen Autobahnviadukt und hat sich zu einem der beliebtesten Orte der Stadt gemausert, an dem kulturelle Veranstaltungen, Wochenmärkte oder sportliche Aktivitäten stattfinden. Die Stützen des Expressways wurden in das architektonische Projekt mit einbezogen und zu 55 öffentlichen Räumen mit unterschiedlicher Nutzung umgewandelt. Gleich angrenzend befinden sich sechs neue Wohnquartiere mit rund 77.000 Einwohnern, die durch die Umgestaltung einen direkten Zugang zu Grünraum bekommen haben.

Bevor die Städteplaner in Toronto das ehemalige Gewerbe- und Industriegebiet in bester Innenstadtlage rund um The Bentway entdeckten, war der langgezogene Raum eine No-Go-Area. Trotzdem entschied man sich, den reperaturbedürftigen Viadukt aus den späten 1950er Jahren nicht abzureißen, sondern zu renovieren. Dabei gewann die Stadt gleich doppelt: Sie sparte die Kosten für den Abriss und erschuf gleichzeitig eine völlig neue Infrastruktur. „Natürlich ist es für das Erscheinungsbild einer modernen Stadt wichtig, dass es auch neue Gebäude gibt. Aber man sollte darauf achten, dass sie dadurch nicht ihren Charme verliert. Daher bietet es sich an, historischen Bestand nach Möglichkeit zu prüfen und kreativ damit umzugehen“, ist sich Tina Jokisch sicher.

Noch versinkt Paris bisweilen im Verkehrschaos. Bis zum Jahr 2025 sollen alle Straßen der französischen Hauptstadt mit dem Fahrrad sicher befahrbar sein.

Noch versinkt Paris bisweilen im Verkehrschaos. Bis zum Jahr 2025 sollen alle Straßen der französischen Hauptstadt mit dem Fahrrad sicher befahrbar sein.

Das zeigt sich aktuell auch in Paris, das gerade dabei ist, sich zu einer grünen Metropole zu entwickeln; verantwortlich dafür zeichnet Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Die Sozialistin möchte 170.000 neue Bäume pflanzen, Parkplätze zu Gärten umfunktionieren und vor allem die Radwege in der französischen Metropole, die bisher eher für verstopfte Autostraßen bekannt war, immer weiter ausbauen. Bis 2025 sollen alle Straßen der französischen Hauptstadt mit dem Fahrrad sicher befahrbar sein und Paris zur „Stadt der Viertelstunde“ werden: Alles, was man im Alltag braucht, soll fußläufig erreichbar sein. Denn nur eine lebensnahe Infrastruktur lässt die Bewohner eines Viertels auf Auto und Bus verzichten und beendet den Pendlerverkehr. Die Pariser sollen dort arbeiten, wo sie leben – eine Entwicklung, die durch die Corona-Krise beschleunigt wird. Überall auf der Welt hat sich während der Krise das Homeoffice etabliert – laut einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts in Deutschland dürfte es auch über das Ende der Corona-Zeit hinaus weiter an Bedeutung gewinnen.

„Paris ist ein interessantes Beispiel dafür, dass es möglich ist, die Dinge schnell zu verändern!“, so Tina Jokisch. „Man muss die Pendlerströme aus den Innenstädten halten, radikaler denken. Straßen für den Autoverkehr schließen oder zu Einbahnstraßen umwandeln, ohne dabei Handwerken, Zulieferern, Gastronomen oder Anwohnern Steine in den Weg zu legen.“ Um städteplanerisch die Kon-trolle zu behalten, sei es vor allem wichtig, dass Städte ihre Grundstücke auch weiterhin kommunal verwalten. „Inzwischen sind die Mieten in den Innenstädten für die meisten unerschwinglich, und es gibt dort immer weniger Infrastruktur für den alltäglichen Bedarf“, erklärt sie. „In den 1960ern haben die Städteplaner den großen Fehler gemacht, die Autos in den Vordergrund zu stellen, was sich gerade glücklicherweise ändert. Die Städte müssen grüner, lebenswerter und wieder zum Raum für Menschen werden.“

Fotocredits: Fredrikke Wiheden, Ursula Bach, istock

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