Wo und wie wir arbeiten werden.

Trotz nach wie vor hoher Inzidenz-Zahlen scheint nach zwei Jahren Corona langsam so etwas wie Normalität einzukehren. Nur nicht im Büro. Mit einiger Verwunderung stellen viele Arbeitgeber fest, dass ihre Mitarbeiter nicht mehr ins Büro zurückkommen wollen. Ist das “The new normal”? Und wie soll man damit umgehen?

Endlich wieder reale Kundentermine, Präsenz Workshops, Networking-Veranstaltungen und  Mittagessen mit anderen Unternehmer*innen. Ich liebe es. Dabei kommt ein Thema immer wieder hoch: Obwohl die Corona Situation es aktuell erlauben würde, findet eine Rückkehr der Mitarbeitenden in die Büros nicht im großen Umfang statt. Ganze, vor kurzem noch nach neuesten New Work Erkenntnissen eingerichtete Bürolandschaften sind verwaist. Nur vereinzelt verirren sich Mitarbeitende auf den Fluren. Längst haben sich hybride Arbeitsmodelle etabliert, die vor zwei Jahren noch undenkbar schienen. 

Das scheint für viele Unternehmen eine große Herausforderung zu sein. Gerade für kreative oder innovationsgetriebene Unternehmen, die auf ein Miteinander im schöpferischen  Prozess angewiesen sind. Denn die Unternehmens- und Innovationskultur leidet. Die Bedeutung der Kaffeemaschinen als Ort der zufälligen Begegnung ist an vielen Stellen beschrieben worden. Und auch das spontane Feierabendbier ist sicherlich für die Kultur im Unternehmen nicht zu unterschätzen. Wie soll das ersetzt werden, wenn neue Mitarbeiter*innen ihre Kolleg*innen teilweise noch nie persönlich kennengelernt haben? Die Bindung der Mitarbeiter*innen zum Unternehmen hat teilweise so nachgelassen, dass der bessere Rechner im Home-Office schon genügt, um den Arbeitgeber zu wechseln. 

Arbeitnehmer*innen scheinen die Freiheit sehr zu schätzen. 17 % haben schon mal gekündigt, weil es keine flexiblen Arbeitsbedingungen gab. 42 % würden eine neue Stelle gar nicht mehr antreten, wenn es keine flexiblen Arbeitsbedingungen gäbe. Führungskräfte sind dagegen Hin und Her gerissen. 38 % glauben, dass Mitarbeitende ihre Arbeit im Home-Office nicht erledigen. Trotzdem spüren 74 % den Druck, flexible Arbeitsbedingungen anzubieten, auch wenn wiederum 37 % der Führungskräfte negative Folgen für ihr Unternehmen erwarten. (Alle Zahlen aus der brand eins April 2022.) 

Was also können Unternehmen tun?

Seit 2006 kursiert das Zitat “Culture eats strategy for breakfast” von Peter Drucker durchs Netz. Das war schon immer richtig, wird aber heute für Unternehmen überlebenswichtig. Unternehmensidentität und Unternehmenskultur werden zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor im Kampf um die besten Mitarbeitenden.

Die Gleichung “Arbeit gegen Geld” funktioniert ja schon länger nicht mehr. Schon vor 10 Jahren saßen junge Bewerber*innen bei uns und fragten mit einer Selbstverständlichkeit nach Home-Office, Teilzeitmodellen und Sabbaticals, dass es uns im ersten Moment die Sprache verschlug. Das hatte mit der Agenturwelt, wie ich sie kannte (und gelebt hatte), nichts zu tun. 

Wir haben uns deshalb in den letzten zehn Jahren intensiv mit dem Thema “New Work” und Office Architektur auseinandergesetzt. Die Diskussion gewann auch an Intensität, weil die wirtschaftliche Situation von Agenturen schlechter wurde. Die übliche Verrechnung von Zeit gegen Geld führte zu einem enormen Druck auf die Stundensätze der Agenturen, so dass die Agenturen ihr Geld am Ende durch unbezahlte Überstunden verdienen mussten. 

Wir haben nach und nach umgestellt auf wert- statt zeitbasiertes Abrechnen. Und auch damit experimentiert, konsequenterweise die Arbeits- und Urlaubszeiten komplett freizugeben. Es geht ja schließlich um den Wertbeitrag des Einzelnen. Und nicht seine zeitliche Präsenz. Jeder konnte nach dem Motto ”Clients first, team second, me third.” entscheiden, wann und wo er arbeitet. Das kam 2018 aber viel zu früh und hat die Kolleg*innen ehrlicherweise auch überfordert. Sie fanden ein paar Regeln und Leitplanken eigentlich ganz gut.

Was bedeutet das jetzt für die heutige Situation mit dem hohen Anteil an Remote Work und den seltenen gemeinsamen Zeiten im Büro?

Unternehmen, ihre Führungskräfte, aber auch die Mitarbeitenden müssen sich radikal öffnen, um dem neuen Arbeiten gerecht zu werden. Ob das im Home-Office, am Strand in Portugal oder tatsächlich im Büro stattfindet, ist erst einmal nicht entscheidend.

Unternehmen müssen an ihrer Identität und ihrer Kultur arbeiten. Dazu müssen sie alle Mitarbeitenden einbinden, sie befragen und deren Meinungen auch wertschätzen. Sie müssen ein Wertegerüst entwickeln und neue Regeln für alle definieren. Sie müssen die organisatorischen und technischen Voraussetzungen für das neue Arbeiten schaffen.

Führungskräfte müssen lernen, ihre eigene Rolle neu zu definieren. Denn sie müssen Kontrolle abgeben und Verantwortung übertragen. Sie müssen Hierarchien abbauen und partizipatorisch führen. Sie müssen eine Umgebung bauen, in der Mitarbeitende lernen und Fehler machen dürfen. 

Und die Mitarbeitenden? Sie haben die große Freiheit gewonnen, aber sie müssen auch eine Menge Verantwortung tragen. Für das Unternehmen, die Kolleg*innen und auch sich selbst. Nur dann werden alle happy. Und das sollte ja das Ziel sein. 

Und zu guter Letzt: Was passiert denn jetzt mit dem guten, alten Büro? 

Da spielen meines Erachtens zwei Dinge eine Rolle. Zum einen müssen Büros architektonisch komplett neu gedacht werden. Sie müssen nicht nur ein Ort zum Arbeiten sein, sondern räumliche Möglichkeiten für Begegnung, Austausch, Inspiration und Kollaboration bieten. Zum anderen aber kommt auch hier die Unternehmenskultur wieder ins Spiel. Wenn Unternehmen keinen Anlass bieten, ins Büro zu kommen, dann kommt auch keiner. Feste Teamtage, gemeinsame Workshops, aber auch Barcamps, Vorträge, Konferenzen, Kunstausstellungen oder ein Konzert sind nur einige Ideen. Denn es braucht heute mehr als nur den Ort, damit die Unternehmens-Communities lebendig bleiben.  


Fotos: Celine Al-Mosawi, Melanie Zanin

Rainer Kunst beschäftigt sich seit 10 Jahren mit dem Thema New Work und Architektur. Er ist Co-Founder von Flora & Fauna, einem Creative Habitat in Düsseldorf Unterbilk. Mit seiner Agentur Studio Kunst begleitet er Unternehmen bei Fragen zur Unternehmensidentität und Employer Branding. Seine Frau hat er im Büro kennengelernt.

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Aus Flora & Fauna wird Studio Kunst