Working where the wild flowers grow.
Workation, die Mischung aus Arbeit und Urlaub hat trotz Reiserestriktionen einen pandemiebedingten Schub bekommen. Ortsunabhängiges Arbeiten ist nun nicht mehr nur digitalen Nomaden vorbehalten. Wir sprechen mit einer Düsseldorfer Kreativdirektorin, die nach Italien zog und nun vor Bergpanorama arbeitet.
Text: Lisa Maria Kunst
Das Haus liegt auf einem Hügel, der den Blick wandern lässt. Umgeben von Feldern und Wäldern kann man in die Ferne bis zum Gran Sasso d’Italia schauen, einem Gebirgsmassiv mit dem südlichsten Gletscher Europas. Es ist früher Morgen und die Vögel zwitschern überraschend laut. Menschengemachte Geräusche hört man keine. Später wird ein leichtes Brummen herübergeweht. Der Traktor der nächsten Nachbarn beackert ein Feld. Ihr Bauernhof steht einen Kilometer entfernt.
Und auch sonst gibt es hier nicht viel Ablenkung in menschlicher Form. Das ist der Ort an dem Britta Boland, Inhaberin der Designagentur ZORA, zusammen mit ihrem Partner, Inhaber einer Filmproduktion, arbeitet.
Geplant war der Ort als Ferienhaus. „Das Ziel war, mehr Entspannung in unser Leben zu bringen. Da wir beide selbstständig sind, war dann aber sehr schnell klar, dass wenn wir dort mehr Zeit verbringen wollen, mit unseren Kunden mindestens über Mail und Telefon verbunden sein müssen.“ Wie so vieles, hat die Pandemie auch hier einen Prozess beschleunigt. „Social Distancing ist an diesem entlegenen Ort einfach der natürliche Zustand.“ Deshalb hat sich das Paar im ersten Lockdown in das Ferienhaus zurückgezogen und arbeitet nun von dort aus. „Seit der Pandemie wissen Kunden auch, dass es keine Rolle spielt, wo man ist, solange Mails beantwortet werden und die Arbeit erledigt wird.“
Auch das Konzept „Workation“ hat einen pandemiebedingten Schub bekommen. Der Phantasiebegriff setzt sich aus den Worten „Work“ und „Vacation“ zusammen und beschreibt die Arbeit an einem Ferienort.
Und auch wenn Reisen aktuell noch nicht wieder in vollem Umfang möglich sind, ist ein für allemal klar, dass ortsunabhängiges Arbeiten möglich ist. Wer monatelang im Homeoffice arbeiten kann, kann dies auch in südlicheren oder auch einsameren Gefilden tun.
Unter dem Begriff „Workation“ subsummieren sich mittlerweile etliche kommerzielle Reise-Anbieter. Sogar ganze Regionen vermarkten sich unter diesem Begriff. Die Angebote sind stark unterschiedlich. Einige erinnern an das gute alte Seminarhaus und sind auf das Arbeiten in der Gruppe ausgerichtet. Andere bieten Zusatzprogramm wie wandern, tauchen oder surfen. Vormittags wird gearbeitet und nachmittags Urlaub gemacht, so der Plan. Das alles hat Vorteile: Motivation, Fokussierung und dadurch Produktivitätssteigerung.
Die Abgeschiedenheit inmitten der Natur führt zu einem anderen Arbeiten. Für ihre kreative Arbeit sei dies elementar, sagt Britta Boland. „Die Verstärkung des Duschmoments“ nennt Boland es. Gute Ideen kommen ja bekanntlich unter der Dusche. Wenn man abgeschieden ist und die Gedanken schweifen können. „Hier hat man eine 24-Stunden-Dusche“, so Britta Boland. „Der physische Abstand zu Deutschland, vor allem aber unbegrenzte Blick, die Weite und das viele Grün, machen was mit einem. All das lässt einen freier denken.“ Und auch das Fehlen vom Stress der Stadt ermöglicht ein anderes Arbeiten. Der Tag beginnt fokussierter und produktiver, ohne aggressives Hupen, Autoabgase, Menschen die zur Arbeit hasten und die allgegenwärtige urbane Geräuschkulisse.
Und dennoch: „Wir haben für uns ausgeschlossen, permanent von hier aus zu arbeiten, da das Urbane ein wichtiger Impuls für unsere kreative Arbeit ist.“ Denn in der Einsamkeit fehlt es an diesen zufälligen, inspirierenden Momenten: Ein Auto, aus dem noch nie gehörte Musik dröhnt. Der Besuch von Kunst, Kultur und Kino. „Hier passiert es einfach nicht, dass jemand vorbeigeht und man denkt: „Cooles Outfit.“ Oder „Tolle Frisur.“ Wenn man kreativ arbeitet und Designs entwickelt oder Filme macht, die das aktuelle Lebensgefühl wiedergeben, dann kann man nicht immer nur auf dem Land arbeiten. Dieses Lebensgefühl kann man sich nicht einfach über Netflix oder das Internet ziehen“, meint Britta Boland.
Ein anderer Aspekt der für remote Work essentiell ist, ist besonders in der Einöde schwer zu bekommen: Eine gute Internetverbindung. Britta Boland und ihr Partner haben sich dafür eine eigene Antenne auf einen benachbarten Berg installieren lassen.
Auch kommerzielle Anbieter wissen um dieses Problem und sehen in der Garantie eines starken Netzes einen Wettbewerbsvorteil. Der kann sich auch auf ein ganzes Gebiet beziehen. Bei guter 5G Flächendeckung lässt sich schneller abeiten und anschließend an den Strand gehen. Ganze Regionen haben dies erkannt und werben damit für Langzeitaufenthalte. Island, Dubai, Barbados und Mauritius bieten spezielle Workation Visa für eine Dauer von bis zu einem Jahr an. Die Stadt Barcelona hat einen eigenen Service der bei der Organisation einer Workation behilflich ist. Und auch Reiseanbieter wie TUI bieten All-Inclusive-Angebote unter dem Schlagwort an.
Ist das Reisen erst wieder uneingeschränkt möglich, ist gut vorstellbar, dass Workation boomt. Buzzword im Tourismusmarketing ist es schon jetzt.
Für Britta Boland gibt es an ihrem ganz eigenen Workation-Konzept eigentlich keinen Nachteil – nur an ihren letzten richtigen Urlaub kann sie sich nicht mehr erinnern. „Zwei Wochen ganz ohne Emails zu lesen und bearbeiten, das geht bei mir eigentlich nicht. Aber das ist doch eher der Selbstständigkeit als dem Ort geschuldet.“ Dafür springt sie auch mal zwischen zwei Telefonaten in den Pool oder erntet in ihrem Gemüsegarten unter italienischer Sonne gereifte Tomaten. Und bei all dem schweift der Blick in die unendliche Weite. Fair enough.