Keine Angst vor Kitsch

Gekachelte Palmen und leuchtende Sonnenuntergänge: In den Kunstwerken von Katja Tönnissen steckt immer etwas Fernweh. Ihre Motive sucht sie auf Reisen, in Düsseldorf finden sie eine Form. Ein Atelierbesuch.

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In einem Hinterhof zwischen Flingern und Stadtmitte versteckt sich das Atelier von Katja Tönnissen. Eine unscheinbare Durchfahrt in einem Altbauwohnhaus, dahinter Werkstattgebäude und Gewerberäume – Nichts deutet von außen darauf hin, was im Innern entsteht, außer vielleicht das Bild einer etwas traurig ausschauenden Palme in der Glastür. Alles andere als traurig öffnet Katja die Tür zu ihrem Atelier, und auch ihr kleiner Hund Kitty begrüßt den Besuch freundlich schwanzwedelnd. Überall im Raum stehen kleine Töpfchen mit Keramikglasuren herum, am Ende des Raumes hat Katja ein paar fertige Kunstwerke aufgebaut. Im Regal stapeln sich Hilfsmittel, Werkzeuge, Spielzeugfiguren und Materialproben, an der Wand hängen Zeichnungen, Skizzen und Fotos. Ein Sofa und ein paar Stühle stehen einladend bereit.

„Es ging nie darum, einen bestimmten Gegenstand zu gestalten.“

Schnell sind wir im Gespräch über die neusten Arbeiten, die Katja vor einem Tag auf einen Transport nach Dänemark gegeben hat, und von denen nur noch Vorstudien und Moodboards an der Wand zurückgeblieben sind. „Honeymoon“ heißt der Titel der Gruppenausstellung in der Viborg Kunsthalle, in der es um die entscheidende Phase einer Beziehung geht, wenn das Gefühl der Verliebtheit, die romantischen Erwartungen und die neue Realität der Frischverheirateten aufeinanderprallen. Für das Thema war Katja Tönnissen sofort zu begeistern. „Katharina Klang, die Direktorin der Sammlung Philara hat über meine Arbeit einmal geschrieben, ich breche mit der Romantik, um sie in aller Einfachheit zu präsentieren,“ erklärt Katja. Sonnenuntergänge, goldene Palmen, Muscheln oder Flamingos – die Motive, mit denen Katja arbeitet, tragen oft den Stempel „Kitsch“, doch das genau reizt sie daran, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und dem verbreiteten Bild noch etwas hinzuzufügen. Für „Honeymoon“ sind es die bunten Lovebirds, die Katjas Interesse geweckt haben, kleine Papageien, die bei uns Unzertrennliche heißen. Ihre Lovebirds sind aber keine niedlichen Nachbildungen von Vögeln, sondern ein sechs Meter hohes, auf die Form und die Farbe reduziertes und aufrecht im Raum stehendes Bild des Vogelpaares, von oben bis unten bestückt mit bunt glasierten Platten aus Keramik anstatt Federn. Oft sind es Worte oder Bilder, wie in diesem Fall Honeymoon, die bei ihr den Impuls für eine neue Serie auslösen, und meistens finden sich diese in der Natur.

„lamps“, Ausstellungsansicht Ciao Mamma, Galerie Jochen Hempel, Leipzig, 2018

„lamps“, Ausstellungsansicht Ciao Mamma, Galerie Jochen Hempel, Leipzig, 2018

Die Palme ist auch so ein Beispiel von einem Bild, das sofort Assoziationen hervorruft. „Wenn ich Palmen sehe, geht mein Herz auf“, sagt Katja, und damit ist sie nicht alleine. Diese Sehnsucht nach Ferne, ein Gefühl von Unbeschwertheit, das sich nur im Urlaub einstellt, von Wärme und südlichem Licht verkörpert die Palme wie kein anderes Motiv. Überhaupt hat Katja Tönnissens künstlerische Praxis viel mit Reisen zu tun, mit Ideen, die sie wie Souvenirs mit nach Hause bringt und mit denen sie das Fernweh im Zaum hält, bevor die nächste Reise ansteht.

Als Katja kurz nach dem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf mit einem Stipendium in Israel war, betrachtete sie am Strand von Tel Aviv jeden Abend den Sonnenuntergang und suchte nach einer Form, dieses Naturspektakel in der Kunst festzuhalten. Mit den Möglichkeiten der Malerei war sie nicht zufrieden, und Keramik in Israel herzustellen und nach Deutschland zu transportieren war kompliziert, doch zurück im Atelier in Düsseldorf kam ihr die Idee, den Sonnenuntergang in Form einer Lampe umzusetzen. So entstand eine umfangreiche Serie: für jeden Tag eine Stehlampe, deren Schirm den Farbverlauf des Himmels wiedergibt, während der Fuß aus abstrakten Keramikformen oder mit Kacheln ummantelten Säulen an den Verlauf der Farbtöne an Land, zwischen Sand und Meer erinnert. Dass aus der Idee am Ende eine Lampe wurde, ist reiner Zufall, erklärt Katja Tönnissen, es ging nie darum, einen bestimmten Gegenstand zu gestalten, der auch noch für einen bestimmten Zweck gebraucht werden kann, sondern allein um das Motiv und die damit verbundenen Gedanken und Geschichten. „Ich bin einfach ein Fan von Sonnenuntergängen,“ schwärmt sie, „schon immer, seit meiner Kindheit am Niederrhein.“

„Wenn ich Palmen sehe, geht mein Herz auf.“

„under palm trees“, Installation in Düsseldorf, 2015

„under palm trees“, Installation in Düsseldorf, 2015

Auf einer Reise nach Florida vor zwei Jahren war Katja fasziniert davon, wie die Leute jeden Abend zum Strand pilgern und dem Sonnenuntergang applaudieren. Die Themen, mit denen Katja sich beschäftigt, erzählen unter ihrer schönen Oberfläche eben auch viel über die Menschen, über Kulturgeschichte und gesellschaftliche Phänomene. Die Serie „Detox“, große rötlich glasierte, wulstige Objekte, die nicht auf den ersten Blick verraten, dass sie Vulven sind, ist ihre Antwort auf Frauenzeitschriften und Lifestyleblogs, die einen Beautytrend nach dem anderen propagieren, und denen sie nicht die Deutungshoheit über den weiblichen Körper überlassen will. Überhaupt ist Katja Tönnissen

sich der Genderfragen und Rollenklischees, die mit ihrer künstlerischen Arbeit gerne in Verbindung gebracht werden, sehr bewusst. Keramik gilt als typisch weibliches Kunsthandwerk, und wenn sie in der Metallwerkstatt auftaucht und ihre großformatigen Bronzeskulpturen in Auftrag gibt, wird sie schon mal schief angeguckt. „Früher fand ich es ungerecht, dass ich mich als Frau in der Kunst anders behaupten muss, heute ist es mir egal. Ich finde es aber sehr spannend, diese Dynamiken zu beobachten,“ sagt sie. „Wenn man gute Arbeit macht, wird die auch ihren Weg finden.“

Katja Tönnissen wird von der Galerie Kunst & Denker Contemporary vertreten.


Text: Leonie Pfennig
Foto: Ben-Hermanni, Uwe Walter

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