New Work, was ist das eigentlich?
Die Welt ist sein Arbeitsplatz, die Zukunft sein Forschungsgebiet. Raphael Gielgen ist Head of Research beim Schweizer DesignUnternehmen Vitra und besucht pro Jahr mehr als 100 Firmen, Universitäten und Startups. Warum? Der Trendscout setzt sich mit der Zukunft der Arbeit auseinander und trifft die Protagonisten der neuen Welt.
Interview BRITT WANDHÖFER
Buzzword New Work, es kann alles und nichts heißen.
Was heißt es für dich?
Raphael Gielgen: Mein Interesse ist die umfassende Veränderung einer Arbeitswelt. Darin sind die Treiber der Veränderung vielfältig und von ihrem Einfluss unterschiedlich stark. In unserem Vitra WORK PANORAMA haben wir aktuell acht Themencluster aufgeführt. New Work ist dabei ein Baustein, der bei uns im Themencluster HUMAN CORE eingebettet ist. Man kann es fast mit einer neuen Art des Humanismus vergleichen. Ich bereise im Rahmen meiner Arbeit zehn bis 15 Länder pro Jahr. New Work findet in den anderen Ländern nicht so statt wie bei uns. Ich ermuntere jeden dazu, seinen Blick auf die neue Welt der Arbeit viel weiter zu fassen. Die Arbeit von morgen ist ein Eco System, welches eine neue Zeit bedient. Diese gilt es zu entdecken.
Gibt es noch andere Trends in Bezug auf die Arbeits- welt, die du auf deinen Reisen beobachten kannst?
Wie oben beschrieben, haben wir aktuell acht Themen, die wir intensiver beobachten, und versuchen, sie zu be greifen und zu verstehen. In Deutschland reduzieren wir im Moment die Zukunft der Arbeit auf die Digitalisierung und den Mangel an Fachkräften. Das ist etwas zu kurz gedacht, so als ob man nur vor seine Füße schaut. Nehmen wir zum Beispiel das Thema „Reskilling“, was in unserem PANO RAMA „Talent Transfer“ heißt. Das WEF in Davos hatte das Thema 2018 groß auf der Agenda. Es geht darum, dass wir in Zukunft unseren gelernten, studierten und ausgeübten Beruf nicht bis zur Rente machen werden.
Es ist in etwa die gleiche Herausforderung, wie aus einem guten Drummer in einer Band einen Gitarristen zu machen. Wie schaffen wir es im ganz normalen Fluss der Arbeit, etwas dazuzulernen. Fragen Sie sich selber: Wie oft lernen Sie im Rahmen Ihrer täglichen Arbeit etwas Neues, wie erweitern Sie Ihre Anlagen und Fähigkeiten? Das ist ein zentrales Thema. Arbeit muss sichtbar werden, und dabei spielt die Architektur eine wichtige Rolle.
“In Zukunft gilt es, den Garten selbst zu bestellen”
Was braucht es, um New Work konsequent zu leben, und was kann man dabei nicht gebrauchen?
Es braucht vor allem Haltung. Haltung beim Management und Haltung beim Mitarbeiter: Mitarbeiter haben über viele Jahre nur im Garten der Weisung und Kontrolle gearbeitet. Da war alles geregelt und klar definiert, in Zukunft gilt es aber, diesen Garten selber zu bestellen. Das bedeutet, ein Mitarbeiter muss Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Er gestaltet damit seine Arbeit selbst und organisiert diese und alles darum herum. Ein Unter nehmen braucht dafür das passende kulturelle Framework, in dem New Work stattfinden kann. Autorität und Kontrolle passen dann nicht mehr. Hier gibt es auch kein Update, das Unternehmen muss rebootet werden. Das ist wahrlich kein Spaziergang, aber es ist halt wie immer im Leben mit der Erneuerung: Das muss man kauen, man kann es nicht kaufen.
Welche Position nimmt Vitra bei dem Thema New Work ein? Was kann Vitra in puncto New Work besser als andere Anbieter?
Vitra ist ein DesignUnternehmen. Das ist unser Unternehmenskern, und dieser gibt uns Anleitung und Orientierung. Wir stehen für die Erneuerung, das bedeutet, dass wir nicht kritiklos anbieten, was der Markt oder Kunde von einem fordert. Das Design spielt dabei eine tragende Rolle. Im großen Maßstab am Beispiel vom Citizen Office in Weil am Rhein auf dem Vitra Campus. Im kleinen Maßstab am Beispiel von Produkten wie dem Alcove Sofa, was unmittelbar zu einem neuen Standard wurde. Heute, 16 Jahre später, findet man diese Art der Büros oder diese Art an Produkten auf der ganzen Welt. Unser Wissen um das Design, die Autoren, mit denen wir zusammen arbeiten und die Tatsache, dass wir ein Familienunternehmen sind, helfen uns dabei. Wir assimilieren Umgebung und Raum, erfassen nicht ausgesprochene Bedürfnisse, begreifen die Welt um uns herum und arbeiten dann an den Produkten und Konzepten von morgen.
Gehört Nachhaltigkeit zwangsläufig zu New Work?
Ich bin gerade in Singapur und lese, dass heute, an einem Freitag, in über 100 Ländern die Kinder auf die Straße gehen und protestieren. Was viele Eltern dabei nicht verstehen, dass sie sich selber auch angesprochen fühlen sollten. Die se Agenda, egal welchen Namen sie trägt, ist die zentrale Agenda unseres Jahrzehnts. Arbeit ist dabei nur ein Aspekt.
Jedes Unternehmen kann sich selber die Frage stellen, welchen Beitrag es zur Biodiversität leistet, zum Beispiel auf den eigenen Grünflächen, in den Innenräumen oder in der Kantine. Es ist so einfach, einen Beitrag zu leisten, regionale Gerichte und saisonale Gerichte anzubieten, alternative Mobilitätskonzepte zu fördern, Patenschaften für Naturprojekte zu übernehmen. Es geht uns alle an, und auch das ist unternehmerische Fürsorge.
Welche Vorteile siehst Du in „Cleandesk“ und dass niemand mehr seinen eigenen Schreibtisch hat?
Ich glaube an eine Vielfalt in der Architektur der Arbeit und nicht an generische Modelle, bei denen alle Mitarbei ter über einen Kamm geschoren werden. Cleandesk und Desksharing dienen der Effizienz, mehr nicht und weniger auch nicht. Es gibt Gründe, dies einzuführen, und es bedarf eines entsprechenden Reifegrades einer Organisation.
Wie wichtig ist die Gestaltung des Arbeitsplatzes für den Erfolg des Unternehmens?
Jedes Jahr publizieren wir die besten Referenzen in unse rem Magazin „Our Clients“. In diesem Magazin erzählen wir die Geschichte unserer Kunden auf dem Weg in eine neue Architektur der Arbeit, in das neue Büro. Diese Geschichten sind alle untrennbar mit der positiven Veränderung der Un ternehmen und mit deren Erfolg verbunden. Wer die Bau aufgabe „New Work“ ernst nimmt, Klarheit über das eigene kulturelle Framework der Organisation hat, die unterschied lichen Milieus seiner Mitarbeiter kennt, der kuratiert in der Regel auch ein neues Büro, welches Maßstäbe setzt und eine Schlüsselressource des Geschäftsmodells wird.
Wir werden wir in 50 Jahren arbeiten?
Das weiß keiner, das weiß noch nicht mal Google, und das ist gut so. Wir sollten uns auf die nächsten zehn Jahre konzentrieren und uns selber fragen: „Was gibt es in zehn Jahren in unserer Umgebung, was es heute nicht gibt?“