Wie Menschen ihren Intelligenzraum erweitern

Vom Faustkeil zur künstlichen Intelligenz

Mario Herger forscht nach Technologietrends und wie sie sich auf Gesellschaft und Wirtschaft auswirken. Darüber schreibt er Bücher, hält Vorträge und berät Unternehmen. Er lebt seit 2001 im Silicon Valley und ist dort Partner unserer Inspiration Travels.

Porträtfoto-Credit: Eric Millette

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Beim 30-jährigen Maturatreffen hatte ich in Wien die Gelegenheit, mit meinen ehemaligen Schulkollegen zu plaudern und zu lernen, wie es ihnen so geht. Dabei war es schön zu erkennen, wie viele von ihnen beruflich erfolgreich waren und Familien hatten. Einige mögen zwar etwas grauer in den Haaren geworden sein, andere etwas um das Bäuchlein zugelegt haben, aber sie hatten nach wie vor dieses gewisse Lächeln, diesen Humor, diese Handbewegung, an denen sie zu erkennen waren.

Interessant war zu sehen, dass diejenigen, die in Mathematik oder in Englisch nicht unbedingt zu den Klassenbesten gehört hatten, doch erfolgreiche Karrieren als Theaterleiter oder als Ingenieure auf Ölbohrplattformen hatten.

Jede dieser Fähigkeiten erfordert eine leicht andere Art von Intelligenz. So unterscheiden wir heute unter anderem Dimensionen wie soziale Intelligenz, emotionale Intelligenz, kulturelle Intelligenz, Schwarmintelligenz, Körperintelligenz, ja sogar spirituelle Intelligenz. Wir denken mittlerweile auch an tierische und pflanzliche Intelligenz und dass wir Menschen auch kollektiv, kollaborativ und verteilt unsere Intelligenzen und die damit verbundenen Fähigkeiten zusammenbringen können.

Intelligenz ist laut dem MIT-Professor Max Tegmark, kurzgefasst „die Fähigkeit komplexe Aufgaben zu lösen.“ Und auf jeder der erwähnten Dimensionen liegen wir auf dem Spektrum ganz individuell verteilt. Damit decken wir als Menschheit mit bald acht Milliarden Menschen einen multi-dimensionalen Intelligenzraum ab, der beeindruckend scheint.

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Hunde mögen teilweise mit unserem Intelligenzraum überlappen, sie belegen aber auch einen anderen Teil des gesamten Intelligenzraumes. Hunde können beispielsweise dank ihrer Nase viel besser riechen. Die sensorische Reichweite unserer menschlichen Nase mag einem Hund hingegen lächerlich gering vorkommen. Uns entgehen damit Informationen, die Hunden völlig selbstverständlich ist. Ziehen wir die Intelligenzräume von Delphinen oder Ameisen heran, dann merken wir sehr rasch, wie wenig wir als Menschheit eigentlich wirklich an Intelligenzraum abdecken.

Künstliche Intelligenz wird von vielen als etwas angesehen, dass menschliche Intelligenz nachahmen und verbessern soll. Auch wenn das wie ein hehres Ziel scheint, so ist es weder gewünscht noch vermutlich jemals möglich. Eigentlich sollten wir künstliche Intelligenzen schaffen, die unsere menschliche Intelligenz ergänzt und erweitert.

Betrachtet man KI als kognitive Erweiterung, wie ein Hammer oder ein Flugzeug eine physische Erweiterung unserer Fähigkeiten war, dann erkennen wir rasch, dass ein Hammer nicht eine Faust oder einen Arm simuliert. Ein Flugzeug flattert nicht mit den Flügeln um fliegen zu können. Diese beiden physischen Werkzeuge haben ihre eigene Art gefunden, diese Aufgabe zu meistern, und das teilweise besser als die Natur und zu unserem Nutzen.

Als Menschheit haben wir immer größere und komplexere Probleme zu lösen. Wenn es uns gelingt, mehr Arten von Intelligenz zu schaffen, die uns dabei hilft, diese Probleme anzupacken und zu lösen, dann sollten wir diesen Weg gehen. Von Menschen geschaffene KI kann uns somit helfen, den bislang von uns nicht besetzten und benutzten Intelligenzraum zu erobern und für unsere Zwecke heranzuziehen.

Es gibt aber doch einen Grund, warum wir KI mit dem Blick auf menschliche Intelligenz entwickeln und anwenden sollen: sie gibt neue Perspektiven und Ansätze zum Verständnis menschlicher Intelligenz. Wofür dienen Gefühle und Emotionen? Was ist Bewusstsein? Wie beantworten wir Fragen zu Moral und Ethik, ohne uns wie bislang immer irgendwie so durchzuwursteln?

Beim Maturatreffen stellte sich noch eine andere Frage: der nach der Unsterblichkeit. Dreißig Jahre waren vergangen, und doch erkannten wir uns auf Anhieb wieder. Was wäre, wenn wir uns auf eine KI hochladen könnten, und in 10 Menschenjahren 10.000 Jahre auf der Maschine durchleben? Wären wir da noch wir selbst? Würden wir uns da noch erkennen, und wenn ja, was wäre das, was uns als Menschen uns als Individuum so einzigartig macht?

In dieser Hinsicht ist die von uns geschaffene künstliche Intelligenz die vermutlich wichtigste Schöpfung der Menschheit, die uns Menschen es erlauben wird, uns selbst noch besser zu verstehen. Künstliche Intelligenz wird uns sozusagen erst richtig zum Menschenverständnis und damit Menschsein verhelfen.

 

 

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