The evolution of sustainability
Ein Umdenken von kurzfristiger Profitmaximierung hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise ist in vollem Gange. Corona hat diesen Prozess noch einmal beschleunigt. Wann ist ein Unternehmen heute eigentlich noch nachhaltig?
Text: Tom Corrinth
COVID-19 macht gerade auf brutale Weise klar, was die meisten Menschen eigentlich schon wussten: Unsere komplex vernetzte Welt ist ziemlich zerbrechlich und die konsequente Ausbeutung unseres Planeten kann auf Dauer nicht gut gehen. Die Pandemie
befeuert damit ein Thema, das in den letzten Jahren ohnehin schon zum Megatrend avanciert ist: Nachhaltigkeit. Aber was heißt nachhaltiges Wirtschaften eigentlich? Wie unterscheidet sich ernstgemeinte, nachweisbare Nachhaltigkeit vom marketinggetriebenen ,,Greenwashing“? Und: Lohnt es sich für ein Unternehmen betriebswirtschaftlich überhaupt, nachhaltig zu sein? Um Antworten zu finden, trafen wir einige spannende Persönlichkeiten – vom Unternehmer über den Finanzexperten bis hin zum Wissenschaftler.
Wie man Unternehmen nachhaltig managen kann
Patrick Bungard zum Beispiel, der sich seit über 15 Jahren damit beschäftigt, wie gesellschaftliche Verantwortung und betriebswirtschaftliches Interesse langfristig miteinander einhergehen können. Der Wissenschaftler ist geschäftsführender Gesellschafter bei M3trix, einem Institut für nachhaltige Unternehmenstransformation in Köln, und Gründungsdirektor des Center for Advanced Sustainable Management an der International Business School in Köln. „Man kann die Nachhaltigkeit eines Unternehmens nicht managen, das geht sprachlich schon nicht. Aber man kann ein Unternehmen nachhaltig managen“, zitiert er Prof. Dr. René Schmidpeter, Mitgründer der M3trix GmbH. „Es also so aufstellen, dass es in Zukunft langfristig erfolgreich sein kann, indem man ökologische, soziale und ökonomische Themen integriert. Dafür brauchen wir aber noch mehr als ausgegliederte Nachhaltigkeitsabteilungen in den Unternehmen. Wir müssen dahin kommen, dass Unternehmen als Ganzes nachhaltig wirtschaften – für sich und für die Gesellschaft“, führt Bungard aus. Corona deckt dabei gerade schonungslos auf, dass es nicht nur moralisch, sondern auch betriebswirtschaftlich hochproblematisch für Unternehmen werden kann, wenn sie nur auf Profitmaximierung und Ausbeutung setzen – ein prominentes Beispiel aus der Lebensmittel-industrie machte das besonders deutlich. Zudem ändern sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren sehr dynamisch: „Immer mehr Kunden fordern Nachhaltigkeit in Produkten und Services. Studien belegen, dass Nachhaltigkeit eine große Rolle bei der Jobsuche von Nachwuchsfachkräften spielt. Und auch seitens der Politik kommen global immer mehr neue Gesetze wie zum Beispiel das Lieferkettengesetz oder die CO2-Steuer. Letztendlich wird es also auch immer teurer für Unternehmen, die sich nicht nachhaltig aufstellen.“
Start-ups und Konzerne zeigen, wie es geht
Zahlreiche Vorbilder betrachten Nachhaltigkeit bereits als Teil ihrer DNA – vom innovativen Start-up bis hin zum traditionsreichen Konzern. Ein gutes Beispiel für letzteres ist BASF. In ihrer „sustainability roadmap“ skizzieren die Ludwigshafener – transparent einzusehen auf der Homepage –, wie Nachhaltigkeit in alle Schritte der Wertschöpfungskette integriert ist: Vom nachhaltigen Einkauf nachwachsender Rohstoffe über die Entwicklung eigener nachhaltiger (sogenannter Accelerator-) Lösungen bis hin zum respektvollen Mitarbeiterumgang und gesellschaftlichem Engagement. In puncto gesellschaftliches Engagement arbeiten einige andere „Große“, darunter ALDI Süd und Henkel, mit dem Sozialunternehmen Plastic Bank zusammen. Das Start-up aus Vancouver hat einen einzigartigen Ansatz, mit dem es das Plastikmüllproblem lösen will: In Ländern wie Haiti, in denen es keine Recycling-Infrastruktur gibt, kann die lokale Bevölkerung Plastikmüll in bestimmten Sammelstellen abgeben und erhält dafür Geld, Sachspenden oder Sozialleistungen. Der zuvor sortierte und verarbeitete Plastikabfall wird dann wieder der Recycling-Wertschöpfungskette zugeführt. Das „Social Plastic“ wird somit zu einer Art Währung. „Der gesammelte Kunststoff wird einfach zu wertvoll, um ihn wegzuwerfen. Auf diese Weise rücken wir den Wert des Plastiks stärker ins Bewusstsein“, sagt David Katz, Founder & CEO Plastic Bank.
Dem Thema Lebensmittelverschwendung hat sich zum Beispiel der Düsseldorfer Lars Peters verschrieben: In seinem Unternehmen Neue Werte backt er Brot aus Bananen – und zwar aus solchen, die der Handel sonst entsorgen würde, nur weil sie ästhetische Makel haben. Das aussortierte Obst – bis zu 10 Tonnen monatlich – kauft sein Team für einen deutlich geringeren Preis ab. Das fertige Bananenbrot wird schließlich deutschlandweit über die Gastronomie und die Filialen der Bäckerei „Ihr Bäcker Schüren“ vertrieben. „Wir verwenden bei unserer veganen Rezeptur ausnahmslos natürliche Inhaltsstoffe. Und wir backen ausschließlich auf Nachfrage, um auch hier der Verschwendung vorzubeugen“, so Peters.
„Immer mehr Kunden fordern Nachhaltigkeit in Produkten und Services.“
Auch Geld kann grün sein
Nicht nur Wirtschaftsbetriebe werden „grüner“, auch die Finanzwelt tastet sich vor in Sachen Nachhaltigkeit. So meldete der Fachverband Forum Nachhaltige Geldanlagen im Juni 2020, dass Privatanleger ihre Investments in nachhaltige Anlageformen im Jahr 2019 fast verdoppelt haben – von 9,4 Milliarden Euro auf 18,3 Milliarden Euro. Die Ratingagentur Scope stellte zudem bei einer Analyse von 2.000 Aktienfonds fest, dass im ersten Quartal 2020 nachhaltige Geldanlagen in allen Regionen der Welt weniger an Wert verloren als konventionelle Mitbewerber.
Das Management der GLS Bank aus Bochum dürfte das kaum überraschen: Schon seit 1974 setzt man dort auf nachhaltige Geldanlagen. „Rein technisch unterscheiden wir uns nicht von einer konventionellen Bank. Der große Unterschied ist aber, dass wir ganz klare nachhaltige Finanzierungsrichtlinien haben“, erklärt Pressereferent Lukas Feldmann. Schon bei der Kontoeröffnung entscheidet ein Kunde, in welcher Zukunftsbranche das eigene Geld eingesetzt werden soll: Bildung & Kultur, Erneuerbare Energien, Ernährung, nachhaltige Wirtschaft, Soziales & Gesundheit oder Wohnen. Seit zwei Jahren beschäftigt die nachhaltige Bank außerdem ein Team, das eigens die gesellschaftliche Wirkung des Kreditportfolios misst. „Wohnen und Ernährung sind die ersten Bereiche, die anhand verschiedener Faktoren überprüft wurden. Wir können zum Beispiel unseren Kunden schon belegen, dass wir Wohnprojekte finanzieren, die günstigeres Wohnen im Vergleich zum Branchendurchschnitt ermöglichen“, erklärt Feldmann. Diese Wirkungskomponente soll nach und nach auch auf die anderen Zukunftsbranchen ausgeweitet werden.
„Das ist die Zukunft von Deutschland, dass Menschen sich mit dem Verantwortungsgedanken verbinden und Unternehmen auf diese Weise gründen.“
Verantwortungseigentum: Sich selbst gehörende Unternehmen mit klarem Auftrag
Diese nachweisbare Wirkung, auch Impact genannt, kann ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil sein. Aber wie wird sichergestellt, dass ein solch nachhaltig agierendes Unternehmen auch in Zukunft seiner Mission treu bleibt und seine Werte nicht „ausverkauft“ werden? „Indem der Sinn, der Purpose, geschützt wird und es unverkäuflich gemacht wird – durch Verantwortungseigentum“, sagt Stefan Schmidt, Geschäftsführer der Arche Naturprodukte GmbH aus Hilden, einem auf feine Bio-Produkte spezialisierten Unternehmen. Im Jahr 2019 verkaufte Stefan Schmidt einen 1-Prozent Anteil des Unternehmens der Purpose Stiftung. Mit ihrem Modell Verantwortungseigentum sorgt sie dafür, dass teilnehmende Unternehmen selbstbestimmt bleiben und mit Gewinnen nicht spekulieren dürfen. Stattdessen müssen die Gewinne im Unternehmen bleiben oder für einen guten Zweck eingesetzt werden. Im Fall von Arche ist dieser Zweck die Förderung des weltweiten ökologischen Landbaus und die Erhaltung überlieferter kultureller Methoden der Nahrungsmittelproduktion. Denn ein wichtiges Anliegen von Schmidt ist es, jahrhundertealte asiatische Rezepturen und traditionelle Herstellungsverfahren in die neue Zeit zu retten. Gewinne darf er sich selbst nicht auszahlen, kann sie aber z.B. in höhere Gehälter seiner Mitarbeiter investieren. Damit all das garantiert ist, hat Purpose bei allen wichtigen Unternehmensentscheidungen über seinen Anteil ein Vetorecht. Sowohl die eigenen Mitarbeiter als auch der Handel und die Endverbraucher hätten den Schritt ins Verantwortungseigentum sehr positiv aufgenommen, so Schmidt. Er stellt fest, dass vor allem junge Menschen offen für die Idee sind. „Weil sie Eigentum anders als die Nachkriegsgeneration definieren und sinnstiftend arbeiten wollen. Das ist die Zukunft von Deutschland, dass Menschen sich mit dem Verantwortungsgedanken verbinden und Unternehmen auf diese Weise gründen.“
Dass nachhaltiges Denken und Handeln dabei überhaupt nicht im Widerspruch mit einem BWL-Studium stehen muss, betont Patrick Bungard: „Man kann heute beispielsweise ein Unternehmen gründen, das die Plastikverschmutzung der Ozeane behebt und gleichzeitig profitabel wirtschaften. Ich glaube fest an das Potenzial von Unternehmen, Teil der Lösung dringender globaler Herausforderungen unserer Zeit zu sein – statt nur Teil des Problems.“
Fotos: 1 und 2 Plastic Bank, 3 Neue Werte; 4 Arche Naturküche